Warum systemische Entwicklung im Chapter so entscheidend ist
In agilen Organisationen sind Chapters mehr als nur funktionale Einheiten – sie sind soziale Systeme mit oft verborgenen Dynamiken. In der systemischen Organisationsentwicklung zeigt sich: Gerade dort, wo Zusammenarbeit blockiert ist, bietet sich eine enorme Chance für nachhaltige Veränderung.
Dieser Erfahrungsbericht zeigt, wie eine gezielte systemische Entwicklung in einem Chapter zu einer neuen Kultur der Offenheit und Eigenverantwortung führte.

1. Die erste Diagnose: Drei unsichtbare soziale Zonen im Chapter
Früh in der Begleitung eines Kundenprojekts fiel auf: Das Chapter agierte nicht als kohärentes soziales System. Stattdessen identifizierten wir drei differenzierte Zonen:
- Innerer Kreis
Wenige, dominante Mitglieder mit hohem Redeanteil und inhaltlicher Steuerung. - Äußerer Kreis
Zurückhaltende Mitglieder, die kaum Input lieferten und sich passiv verhielten. - Peripherie des inneren Kreises
Einzelne, die Nähe zum inneren Kreis suchten, jedoch keine vollständige Zugehörigkeit erfuhren.

Dieses Modell war keine offizielle Struktur – sondern diente uns als analytische Linse, um soziale Spannungen sichtbar zu machen.
2. Kommunikationsmuster als Dysfunktion
Die Analyse offenbarte klassische Kommunikationsverzerrungen:
- Monolog statt Dialog: Der innere Kreis dominierte Diskussionen und ließ wenig Raum für andere Sichtweisen.
- Rückzug aus Selbstschutz: Der äußere Kreis schwieg – aus Unsicherheit oder Resignation.
- Kognitive Dissonanz: Der Vorwurf „Da kommt ja nichts vom Rest“ wurde laut – ohne Reflexion der eigenen Wirkung.
Diese dysfunktionalen Muster führten zu Stillstand. Co-Kreation und Lernen waren blockiert, Innovation nahezu unmöglich.
3. Systemisch intervenieren: Unser methodischer Zugang
Beobachtung ist der erste Schritt – entscheidend wird, wie wir Erkenntnisse in veränderungswirksame Interventionen überführen. Unsere Wahl fiel auf eine angepasste Struktur- und Kulturmusteranalyse, inspiriert von Future Leadership-Ansätzen.
Das Setup: 23 Menschen, ein System – viele Perspektiven
Um die Realität des Chapters multiperspektivisch zu erfassen, kombinierten wir zwei Methoden:
- Quantitative und qualitative Erhebung via Microsoft Forms im Interviewformat
- Analyse mit Vier-Felder-Tafel
Die Vier-Felder-Tafel: Zwei Dimensionen, viele Einsichten
Unsere methodische Matrix betrachtete zwei zentrale Ebenen:
- Psychologische Sicherheit
- Struktur & Eigenverantwortung
Beispielhafte Fragen:
Psychologische Sicherheit
- Wie sicher fühlst du dich, Fehler zuzugeben?
- Kannst du im Chapter konstruktives Feedback geben?
- Wird deine Meinung respektvoll behandelt?
Struktur & Eigenverantwortung
- Wie klar sind Entscheidungsprozesse im Chapter?
- Wie stark wird Selbstorganisation tatsächlich gelebt?
- Gibt es spürbare informelle Hierarchien?
4. KI-gestützte Mustererkennung als systemische Ergänzung
Zur Identifikation kritischer Muster nutzten wir KI-gestützte Text- und Clusteranalysen, u. a.:
- Hohe Standardabweichung (Hinweis auf Polarisierung)
- Viele Bewertungen < 4 (Kritik-Potenziale)
- Bewertungen > 3 (Stärkenfelder)
Diese Daten waren Basis für die Priorisierung des Workshop-Designs und der Kommunikation der Ergebnisse.
5. Transparenz als Katalysator: Vom Cluster zur kollektiven Reflexion
Die textlichen Rückmeldungen wurden anonymisiert auf Sticky Notes übertragen, geclustert und quantifiziert. So entstanden handlungsleitende Schwerpunkte – etwa zur psychologischen Sicherheit oder zur fehlenden Feedbackkultur.
Zwei Phasen der Kommunikation: Erst schützen, dann verankern
Um die systemische Irritation verantwortungsvoll zu steuern, wählten wir ein zweistufiges Vorgehen:
- Vorab-Briefing des inneren Kreises
→ Ziel: Vorbereitung auf kritische Rückmeldungen und persönliche Resonanz - Vergemeinschaftungs-Termin für alle Mitglieder
→ Präsentation der Ergebnisse über ein MIRO-Board, jedoch mit der Bitte die Erkenntnisse erstmal sacken zu lassen und nicht direkt Stellung dazu zu nehmen
Radikale Transparenz trifft auf soziale Realität
Die Reaktionen waren ambivalent:
- Der innere Kreis war teils überfordert, fühlte sich persönlich angegriffen.
- Die Nennung konkreter Namen führte zu Eskalationen – heute würden wir nur mit Rollenbegriffen arbeiten.
Konfliktgespräche waren notwendig – aber auch heilsam. Der Spiegel war nun sichtbar.
6. Integration durch Retrospektiven: Raum für Veränderung schaffen
In den Wochen danach begleiteten wir das Chapter mit drei gezielten Retros:
- Psychologische Sicherheit stärken
→ Welche Rahmenbedingungen fördern Gleichwürdigkeit? - Feedback- und Lernkultur entwickeln
→ Wie entsteht nachhaltige Offenheit im System? - Ownership ermöglichen
→ Wie können auch leise Stimmen Verantwortung übernehmen?
7. Sechs Monate später: Eine neue Chapter-Kultur ist spürbar
Die Fortschritte sind sichtbar:
- Kommunikation auf Augenhöhe ist zur Normalität geworden.
- Rückzugsmuster wurden durch proaktive Beteiligung ersetzt.
- Entscheidungen erfolgen gemeinsam – oft durch Konsensverfahren oder Voting.
- Verantwortung ist verteilt – und wird aktiv angenommen.
Fazit: Warum systemische Entwicklung im Chapter echte Hebel freilegt
Veränderung beginnt dort, wo das System seine blinden Flecken erkennen darf. Dieses Chapter hat den Weg von der Irritation zur kollektiven Entwicklung gemeistert – nicht durch Tools, sondern durch radikale Ehrlichkeit und dialogische Prozesse.
Reflexionsimpuls für dein eigenes System
- Wo in deiner Organisation existieren unausgesprochene Machtstrukturen?
- Gibt es Kommunikationsmuster, die Beteiligung verhindern?
- Wer könnte der „Spiegel“ sein, den dein Team gerade braucht?
Möchtest du herausfinden, wie in deinem Team psychologische Sicherheit und Co-Kreation entstehen können?
Dann lass uns ins Gespräch kommen. Ich begleite Teams, Chapter und Organisationen auf ihrem Weg zu echter Zusammenarbeit.